Was der Wind flüstert

Dunkle Pfoten hetzten über den Waldboden. Sie wichen Dornen aus, sprangen über am Boden liegende Baumstämme und rasten förmlich durch das Unterholz.
Die Pfoten einer Wölfin.
Ihre Augen schienen vor Wut Strahlen aus Feuer zu sprühen und ihr Herz schlug schnell. Die Nacht hatte ihre schwarzen Finger schon lange über den Wald ausgestreckt und die Sterne schienen auf dem silbernen Fell der Jägerin zu leuchten.
Sie erreichte den Rand einer Senke und stoppte, ihr Atem ging schwer. Schwarzglänzende Augen musterten die vom Mond beschienene Wiese und ihre Pranken bohrten sich in die gefrorene Erde als sie plötzlich einen dunklen Schatten auf der Lichtung erkannte. Sie atmete einmal tief durch um sich zu beruhigen, doch innerlich kochte sie immer noch vor Wut.
Mit bedächtigen Schritten betrat sie die Senke und das weißschimmernde Gras streifte ihr Fell. Der dunkle Schatten blieb weiterhin auf der Lichtung sitzen, rührte sich nicht. Eisblaue Augen stachen jedoch hervor und musterten die Silberne, die auf ihn zuschritt. Je näher sie ihm kam desto mehr wurde deutlich, was für ein kräftiger und mit Narben übersehter Wolf er war.
"Wie ich sehe hast du meine Nachricht erhalten, Laisa.", meinte er, seine Stimme war leise und schien beruhigend, hatte aber einen kalten und schneidenden Unterton. Er sah Laisa einfach nur durchdringend an.
"Wie kannst du es wagen, Dasan! Glaubst du wirklich ich würde den Schutz des Rudels einfach so aufs Spiel setzen, nur wegen einer von deinen lehren Drohungen? Mein Vater würde das nicht billigen!", keifte sie zurück und zog ihre Leftzen hoch, sodass ihre Zähne gefährlich im Mondlicht leuchteten.
Der Schwarze ließ ein kehliges Lachen hören und legte seinen massigen Kopf leicht schief. "Aber Laisa, dein Vater ist tot. Ich bin mir sicher den Flohpelz würde die Zukunft des Rudels einen Dreck interessieren."
Damit hatte Dasan eine Grenze überschritten und einen wunden Punkt in der sonst so ruhigen Rudelführerin getroffen. Ihr Fell sträubte sich und ihre Augen verengten sich zu schmalen Schlitzen.
"Wie kannst du es wagen so über meinen Vater zu reden! Er war auch dein Anführer, es ist allein deine Schuld dass du verbannt wurdest. Und falls du noch einmal versuchen solltest das Rudel in Gefahr zu bringen schwöre ich dir bei der heiligen Wölfin Lomasi dass ich dir deinen schmutzigen Pelz über die Ohren ziehen werde!", knurrte Laisa mit tiefer und bedrohlicher Stimme. Ihr ganzer Körper spannte sich an und ihre Muskeln spielten unter dem silbernen Pelz.
Doch Dasan schien das kalt zu lassen. Im Gegenteil, er lächelte nur böse und sah sie missbilligend an.
"Bist du dir da ganz sicher, meine Liebe?"
Laisa war kurz davor ihn anzuspringen, sie wollte sein Gesicht zerfetzen um es nie wieder sehen zu müssen, wollte ihre Krallen in seinen dunklen Pelz graben und ihren Frust an ihm auslassen. Aber dazu kam sie nicht, denn plötzlich vernahm sie ein Rascheln aus den Büschen am Rand der Senke.
Und dutzende, glühende Augenpaare stachen aus den dunklen Schatten hervor...